Habermas kann nicht anders
Gerhard Beckmann setzt sich mit dem populärsten deutschen Gegenwartsphilosophen auseinander, der nun die "postsäkulare Gesellschaft" verkündet
von Gerhard Beckmann
Bis vor vier Jahren war Religion für Jürgen Habermas Privatsache. Religiöse Motive für das öffentliche Handeln galten ihm als inakzeptabel: Im gesellschaftlichen und politischen Raum könne nur eine universale, für alle nachvollziehbare Moral verpflichtend sein; eine Moral, wie sie sich nur in einem vorbehaltlos freien, rational und pragmatisch geführten Verständigungsprozeß herausbilden könne. Das Modell solch einer rigoros "normativen" säkularen Ordnung entwarf Habermas in seinem philosophischen Hauptwerk "Die Theorie des kommunikativen Handelns".
In seinem neuesten Werk billigt Habermas der Religion nun auf einmal öffentliche Bedeutung zu. Warum? Was hat ihn dazu geführt - so in seinem jüngst bei Suhrkamp erschienenen Band "Zwischen Naturalismus und Religion" - mittlerweile das Ende des Säkularismus, die "postsäkulare Gesellschaft" zu verkünden?
Den Denkanstoß gaben die islamistischen Terrorakte auf New York und Washington vom 11. September 2001 einerseits, andererseits der christliche Fundamentalismus in den USA. Im alten Europa erkennt Habermas besorgt, daß Lust und Motivation zur Teilnahme am öffentlichen Leben und am politischen Diskurs rapide abnehmen, die von ihm früher propagierte säkulare Gesellschaft folglich an und in sich selber zerbrechen könnte. Und Habermas ist nicht zuletzt auch deshalb der international meistgelesene, einflußreichste lebende deutsche Philosoph, weil er Endzeitstimmungen aufgreift.
Das entspricht ein Stück weit der Tradition der Frankfurter Schule, deren Hauptrepräsentant in zweiter Generation er ist. Nur: Ihre Begründer - Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Erich Fromm, Max Horkheimer und Herbert Marcuse - erkannten in den komplexen Phänomenen des gesellschaftlichen Wandels den utopischen Horizont: Die säkulare Gesellschaft verwirklicht sich erst in dem, was Adorno mit den Worten der christlichen Offenbarung "das richtige Leben" nennt. Diesem utopischen Gehalt der Theorie gegenüber ist Jürgen Habermas phänomenologisch blind.
Ein weltumspannendes Zeitalter des Säkularismus hat es ohnehin nie gegeben. Die "säkulare Gesellschaft", so der Habermas-Schüler Klaus Eder, ist nur ein - übrigens kaum betretener - "europäischer Sonderweg". Die 70 Millionen evangelischen Christen, die sich in den USA zum Fundamentalismus bekennen, sind nicht - quasi in Fließbandproduktion - über Nacht "wiedergeboren" worden. Gerade wegen der in Amerika seit Anbeginn herrschenden Trennung von Staat und Kirche ist die Religion dort immer ein urlebendiges zentrales Moment des kollektiven bürgerlichen Selbstverständnisses gewesen. Nur so konnte eine breite politisierte christliche Bewegung entstehen. Und ohne die Kontinuität der muslimischen Religiosität ist auch der islamistische Fundamentalismus nicht zu verstehen.
Für religiöse Bewegungen hat Habermas jedoch nie eine Antenne gehabt. Auch jetzt, bei seiner scheinbaren Hinwendung zur postsäkularen Gesellschaft, nimmt er die Religion nur unter dem Aspekt der Politisierung wahr. Im ersten Schritt registrierte er sie vor allem als Störfaktor. Dann ging ihm auf, daß hier eine ungeheure Kraft wirkt, die im säkularen Bereich versiegt ist. Habermas versteht die Religion (nachdem er sozusagen einen Kraftstoffmangel für den säkularen Motor festgestellt hat) als mögliche Ersatzquelle ausschließlich unter dem Aspekt ihrer gesellschaftlichen Funktionalität.
Doch wie will er sich diese Energiequellen nutzbar machen? Nicht nur fundamentalistische religiöse Bewegungen widersetzen sich dem Säkularismus, weil er Lebensräume, Lebensvorstellungen und Lebensweisen zerstört. Doch eben diesen Säkularismus rechtfertigt Habermas nach wie vor mit seiner universalistischen Moralphilosophie; mit dem herrschenden politischen Liberalismus des Westens hat er sich (weitgehend) identifiziert, und außerdem bleibt er dabei: Religiöse Überzeugungen sind im öffentlichen Raum nur akzeptabel, sofern sie sich einer "vorbehaltlos diskursiven Erörterung" unterziehen lassen und ihre Überzeugungen sich als rational begründbar erweisen.
Damit aber ist das Religiöse in seiner Substanz diskreditiert und zum nicht Integrierbaren erklärt. Mit anderen Worten: Die von Habermas geforderte "selbstreflektive Überwindung eines säkularistisch verhärteten und exklusiven Selbstverständnisses der Moderne", die für eine "postsäkulare Gesellschaft" charakteristisch sein soll, mißlingt schon im Ansatz. Der nämlich bleibt der Ideologie des Säkularen verhaftet und fordert die Religion auf, sich zu überwinden.
Wenn Habermas voraussetzt, daß säkulare Menschen sich in ihrem Denken und Handeln vorbehaltlos rational, pragmatisch und öffentlich - der modische Komplexbegriff heißt: transparent - verhalten, legt er wiederum phänomenologische Blindheit an den Tag: Beobachtungen und Erkenntnisse der Anthropologie, Psychologie, Soziologie wie der verhaltensorientierten Wirtschaftswissenschaften belegen nämlich das Gegenteil.
Das Religiöse verweigert sich dem rationalistischen Diskurs. Es beharrt auf seiner fiktiven Wahrheit, oder, um mit Adorno zu argumentieren: Eine Religion, die sich auf etwas anderes als ihren eigenen Wahrheitsgehalt umpolen läßt, untergräbt sich selbst. Wie sollte sie, auf herrschende allgemeine Moralbegriffe reduziert, dem Perspektiven- und Motivationsmangel der "säkularen Gesellschaft" abhelfen können?
Der Autor war international als Verleger tätig und ist heute freier Kulturpublizist. Das Werk, auf das sich Gerhard Beckmann hier bezieht - Jürgen Habermas, "Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze" - ist bei Suhrkamp erschienen
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