Noch vor zwei Jahren schienen es übereifrige Neurowissenschaftler darauf anzulegen, zusammen mit der Willensfreiheit die gesamten Geisteswissenschaften zu verabschieden. Am Horizont dräuten Schlagzeilen wie „Philosophie am Ende: Menschen sind Sklaven ihres Gehirns“, und was tatsächlich in den Zeitungen stand, unterschied sich davon nur im Grad der Willfährigkeit gegenüber einem schrankenlosen Szientismus. Und heute? Die kämpferischen Töne, die der Frankfurter Neurophysiologe Wolf Singer angeschlagen hatte, sind verklungen, die Argumente, mit denen für ein deterministisch geprägtes Menschenbild geworben wurde, vergessen. In der öffentlichen Arena triumphieren Philosophen wie Peter Bieri („Das Handwerk der Freiheit“), Michael Pauen („Illusion Freiheit – Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung“) – und Jürgen Habermas, seitdem er in seiner Rede zum japanischen Kyoto-Preis 2004 einige höchstrichterliche Worte sprach, die auch Eingang in sein letztes Buch „Zwischen Naturalismus und Religion“ gefunden haben.
Was haben sie getan, um die Bedrohung so schnell zu verscheuchen? Das, was Philosophen immer tun: Begriffe klären – verbunden mit der freundlichen Bitte, der intellektuelle Gegner möge so lange schweigen, bis er sich über die genaue Bedeutung seiner Aussagen im Klaren sei. Worüber, haben sie sich also gefragt, sprechen wir eigentlich, wenn wir von Willensfreiheit reden? Um eine unbedingte, jenseits von Kulturen, Personen und Gründen angesiedelte Freiheit kann es sich wohl nicht handeln – genau davon schienen aber einige Neurowissenschaftler auszugehen.
Wenn man Jürgen Habermas zuhörte, wie er am Dienstagabend auf Einladung der norwegischen Botschaft in der Berliner Akademie der Künste über „Probleme der Willensfreiheit“ sprach, so hat sich sein Projekt, den „epistemischen Dualismus mit einem ontologischen Monismus zu versöhnen“, kaum verändert. Dass wir uns als weitgehend autonome Geisteswesen empfinden, zugleich aber Wesen aus Fleisch und Blut sind, deren Funktionieren naturwissenschaftlichen Regeln unterliegt, versuchen wir als doppelte Existenzerfahrung in das Modell eines gleichwohl einheitlich erklärbaren Universums einzufügen.
In dem Jahr, das zwischen Kyoto und der jetzt aus Anlass des im vergangenen November verliehenenen Holberg-Gedenkpreises gehaltenen Rede liegt, haben sich dabei nur die Akzente verlagert. Habermas erinnerte daran, dass das Bemühen, geistige Phänomene vollständig auf materielle zu reduzieren, nicht nur in den begleitenden Sprachspielen seine Grenzen finde: Innere Wahrnehmung und objektivierende Beschreibung von außen kommen auch deshalb nicht zur Deckung, weil die scheinbar wohlgeordnete Hierarchie naturwissenschaftlicher Theorien vor Erklärungslücken nur so strotzt. Die Forschungsgemeinschaft „konstituiert Gegenstandsbereiche, indem sie einen kategorialen Rahmen festlegt und sich darüber verständigt, wie Phänomene beschrieben und Daten gesammelt werden sollen“. Der konstruktivistische Anteil an dem, was vermeintlich gegeben ist, liegt also höher, als man denkt, und rivalisierende Theorien, wie sie in der Physik zum Alltag gehören, sind unvermeidlich.
Genau darin liegt das Versöhnungsangebot an alle Naturalisten. Wo sie Darwin aus der Tasche ziehen, will ihnen Habermas auch Kant beibringen, mit einem – vielleicht gemeinsamen – Ziel: Um „eine gelungene ,Naturalisierung‘ des Geistes“ zu gewinnen, die eine „Interpretation von ,Vernunft‘ “ liefert, die „schon in der subhumanen Natur am Werk ist“, müssen wir „die natürliche Evolution selber auf eine nichtmetaphorische Weise als ,Lernprozess‘ begreifen“. Gemessen an seiner eigenen Mahnung, die konstruktivistischen Anteile naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht zu vergessen, mag das ein gefährlicher Satz sein. Als Einladung zum Austausch ist er ein Versprechen.
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